Grundschule: Lernort und Arbeitsplatz

Gesellschaftliche Entwicklungen bestimmen die Lebens- und Lernbedingungen von Kindern in der Familie, in der Kindertagesstätte und in der Schule. Sie wirken auf die Erwartungen an die Bildungsinstitutionen ebenso wie auf deren eigene Konzepte. Deutlich gewachsen ist die öffentliche Diskussion über Schul- und Unterrichtsentwicklung, nicht zuletzt durch PISA und die Vielzahl weiterer Schulleistungsstudien. Mit der Konzentration auf die Fächer Mathematik und Deutsch verfügen sie nicht über das Potenzial, Unterrichtsentwicklung nachhaltig in Gang zu bringen und durch Unterstützung von Unterrichtsentwicklung Entlastung in die Schularbeit zu bringen. Schulleitungen, Lehrerinnen, Lehrer und sozialpädagogische Fachkräfte in Schulen arbeiten immer deutlicher an ihrer Belastungsgrenze und erleben, dass sie zwischen ihrem professionellen Anspruch und den steigendenden, sich verändernden Anforderungen an ihren Beruf zerrieben werden.

Ein Warnsignal ist, dass in Grundschulen Leitungsfunktionen zunehmend schwer zu besetzen sind. Erkennbare Entwicklungsprobleme werden der Verantwortung der Schulen zugeschrieben, dabei wäre deren systemische Bedingtheit zu bearbeiten. Tatsache ist, dass weder die Ressourcenausstattung und Unterstützungssysteme ausreichend vorhanden sind noch bildungspolitisch gesetzte Strategien so gestaltet werden, dass über eine langfristig gesicherte Finanzierung aufeinander abgestimmte Konzepte und Projekte umgesetzt werden könnten. Der Notwendigkeit, jede Schule in Abhängigkeit von ihrer Sozialstruktur und unter den jeweils spezifischen Standortbedingungen auszustatten, wird zu wenig Rechnung getragen. Zudem klammert die politische Diskussion nach wie vor konsequent die im internationalen Vergleich schlechte Bildungsfinanzierung in Deutschland aus.

Die Grundschule ist Schule für alle Kinder.

Die Grundschule als Grundstufe der schulischen Bildung trägt die Verantwortung für die Vermittlung der fachlichen Basiskompetenzen, von Methodenkompetenzen, Medienkompetenzen, sozialen und personalen Kompetenzen. Sie schließt an die Bildungsprozesse im Elementarbereich an und schafft Voraussetzungen für das Lernen in der Sekundarstufe. Die Grundschule steht vor der Anforderung, Kinder am Schulanfang in ihrer Individualität anzunehmen und auf den immer noch höchst selektiven Übergang nach der Grundschulzeit vorzubereiten. Sie steht vor drängenden Herausforderungen: – Gestaltung einer kindgerechten Ganztagsschule,  – Entwicklung einer inklusiven Schule, die pädagogische und arbeitsorganisatorische Veränderungen verlangt, ohne bereits gesellschaftlich getragen zu sein,  – Zuwanderung mit dem damit verbundenen Anspruch an Sprachbildung, – Aufnahme von Flüchtlingskindern und Unterstützung traumatisierter Kinder, – Umgang mit einer allgegenwärtigen Medienpräsenz, deren Einfluss aktuell weder durch entsprechende Bildungskonzepte noch über eine ausreichende technische Unterstützung aufgefangen wird.
 
Diese Anforderungen verlangen (Um)Orientierungen und Unterstützung. Sie stellen hohe Ansprüche an Schul- und Unterrichtsentwicklung. Zum Gelingen trägt das Engagement von Pädagoginnen und Pädagogen und Schulleitungen bei. Im Entwicklungsprozess unverzichtbar ist Unterstützung durch die Schulverwaltungen und eine am Bedarf orientierte Ausstattung der Schulen. Lehrerinnen und Lehrer erfahren eine Ausweitung ihrer Aufgabenfelder und eine Veränderung ihrer Tätigkeit. Sie sind Teil von personellen Netzwerken innerhalb und außerhalb der Schule. Ihnen wird beständig flexibles Reagieren, kooperatives Handeln und ausgleichendes Vorgehen abverlangt. Eine zukunftsfähige Grundschule verlangt die Anpassung der Lehr- und Lernbedingungen an das veränderte Anforderungsprofil, also einen Rahmen, der die Voraussetzung für eine von allen getragene standortangemessene Schulentwicklung schafft. Im Kontext des neuen Aufgabenprofils müssen die strukturellen Steuerungsmechanismen der Kultusministerien und insbesondere die Entwicklung der Unterstützungssysteme für den Umbauprozess auf ihre Wirksamkeit hin überprüft werden. Seit der ersten PISA-Studie im Jahr 2000 ist im Verbund mit Vergleichsinstrumenten wie VERA und dem Bundesländervergleich spürbarer Druck auf die Bundesländer und Schulen aufgebaut worden. Die Kultusministerien setzen dabei einerseits auf die Wirkung von Ranking und Konkurrenz, zugleich fordern sie innerschulische Initiativen zur Unterrichts- und Schulentwicklung, ein Vorgehen, das Widersprüche erzeugt. Den Schulen nimmt diese Strategie den Handlungsraum für geschützte und unterstützte Erfahrungen.  

Die Folgen

Das Ranking zwischen den Schulen wurde nicht zum Motor für Schulentwicklung. In den Grundschulen übt der Übergang nach der 4. bzw. 6. Klasse angesichts der damit verbundenen Selektion großen Druck auf Kinder, Eltern und Lehrkräfte aus. Die über die Vergleichsinstrumente ausgelöste Reduzierung des schulischen Lernens auf wenige Ausschnitte in den Fächern Mathematik und Deutsch läuft den tatsächlichen und umfassenden Bildungsansprüchen und Entwicklungsanforderungen zuwider. Stattdessen werden benötigt: mehr Zeit für die Kinder, attraktive Lernumgebungen, Unterricht, der die individuellen Ausgangslagen berücksichtigt, Erfahrungslernen und die Entwicklung von Selbstständigkeit, Selbstver
antwortung und Kooperationsfähigkeit. Der Prozess der Verlagerung von Erziehungsaufgaben aus dem Elternhaus auf den Elementarbereich und die Grundschule verlangt veränderte Formen der Partnerschaft zwischen Eltern und Schule. Dieses Anliegen stellt da besondere Anforderungen, wo Eltern schwierige Erfahrungen aus der eigenen Schulzeit und Zukunftsängste auf die Schulkarriere ihres Kindes projizieren und beim Übergang in das gegliederte System nach der Grundschule inklusive Ansätze unterlaufen. Die beschriebenen Faktoren beeinflussen die Bildungswirksamkeit und Leistungsfähigkeit einer Schule. Die Qualität des Lernortes Schule steht dabei in unmittelbarem Zusammenhang mit der Qualität des Arbeitsplatzes Schule. In besonderer Weise ist die Primarstufe betroffen, da sie nach wie vor die mit den geringsten Mitteln finanzierte Schulstufe in Deutschland ist. Grundschulleitungen und Grundschullehrkräfte arbeiten im Vergleich von Stundenverpflichtung, Eingruppierung und Funktionsstellenraster unter schlechteren Bedingungen, als dies in anderen Schulformen der Fall ist.

Der Grundschulverband fordert

… dem erweiterten Aufgabenprofil der Grundschule und dem Ziel »Entwicklung einer eigenverantwortlichen Institution« mit den nachfolgend aufgeführten Maßnahmen Rechnung zu tragen. Selbstverständlich muss werden, jeden Schulstandort nach seinen besonderen Bedingungen und Herausforderungen auszustatten und zu unterstützen. 

1
eine bedarfsorientierte Personalentwicklung
Soll die (Grund)Schule als Lern- und Lebensort auf unterschiedliche Voraussetzungen und Bedürfnisse von Kindern gerechter reagieren können, sind neben der Personalausstattung die jeweiligen Aufgabenprofile, die Qualifikationen Standpunkte Standpunkt Lernort und Arbeitsplatz und die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angemessen zu berücksichtigen. Das Grundschullehramt ist deshalb den übrigen Lehrämtern gleichzustellen (Angleichung von Studiendauer, Deputatslast und Besoldung). Schulen brauchen die Kompetenzen multiprofessionell zusammengesetzter Teams, um Kinder in ihren unterschiedlichen Lebenslagen unterstützen zu können. Die Kooperation der Pädagoginnen und Pädagogen ist strukturell abzusichern. In das Aufgabenprofil von Lehrkräften, Erzieherinnen und Erziehern sind neben Tätigkeiten im Unterricht und in der Freizeitbetreuung Gremienzeiten, Elternberatung, Schülerberatung, außerunterrichtliche Aufgaben, die Verantwortung für Kooperationspartner, Präsenzzeiten und Fortbildung sowie die Kooperation mit Kindertagesstätten und weiterführenden Schulen aufzunehmen. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse bei Vertretungs- und Betreuungskräften sind für eine hochwertige pädagogische Arbeit nicht akzeptabel. Die Fortbildung aller im System Tätigen erfordert Konzepte und Fortbildungspläne, die schulbezogen bedacht und über schulinterne Fortbildungen und übergreifende Qualifizierungsmaßnahmen zu unterstützen sind. Fortbildungen müssen ein ausgewogenes Verhältnis von Theorie und Praxis gewährleisten. Dabei sind wissenschaftliche Erkenntnisse angemessen zu berücksichtigen. Die Finanzierung über einen auskömmlichen Fortbildungsetat ist zu gewährleisten.
2
die Stärkung der Schulleitungen
Schulleitungsaufgaben in Grundschulen verlangen eine höhere Bewertung. Zeiten für konzeptionelle Planung, Gremienarbeit, vernetzende Kommunikation, Teambildungsprozesse, Beratungs- und Kooperationsaufgaben, Mitarbeitergespräche usw. müssen berücksichtigt und über entsprechende Professionalisierungsmaß nahmen abgesichert werden. Zeiten dafür sind in das Schulleitungsdeputat aufzunehmen und anzurechnen.
3
eine bedarfsgerechte Ausstattung
Alle Schulen benötigen eine standortbezogene, dem Bildungsanspruch entsprechende angemessene Personal- und Sachmittelausstattung. Das Auseinanderklaffen der gesellschaftlichen Schere in privilegierte und benachteiligte Gruppen macht vor der Schule nicht Halt. Die Gleichbehandlung von Schulen, bezogen auf Personalversorgung, Leitungszeit, Ausstattung mit Lehr- und Lernmitteln und digitalen Medien, bildet die tatsächlich sehr unterschiedlichen Bedarfe nicht ab. Grundschulen, die in städtischen Ballungszentren unter benachteiligten Bedingungen für die Erziehung und Bildung von Kindern aus armen Familien verantwortlich sind, benötigen zusätzliche Ressourcen für eine hochwertige und erweiterte Sachmittelausstattung genauso wie für die Einlösung des erhöhten Beratungsbedarfs von Eltern und die Kooperation mit außerschulischen Hilfe- und Bildungseinrichtungen. Alle Schulen brauchen kontinuierliche technische Unterstützung im Bereich der digitalen Medien, z. B. bei der Pflege und Aktualisierung von Hard- und Software. Alle Grundschulen benötigen Highspeed-Internet-Anschlüsse (mind. 100 Mbit/s) und Internet in jedem Klassenzimmer, Fachraum und Arbeitsraum für Lehrkräfte. Die Gesundheit der Kinder muss wie die Gesundheit der Pädagoginnen und Pädagogen richtungsgebend für die Ausstattung von Schulen sein.
4
wirksame Unterstützungssysteme
Qualitätsentwicklung auf der Grundlage der spezifischen Standortbedingungen ist für die Bestimmung von schulbezogenen Zielperspektiven leitend. Über professionell gesteuerte externe Moderation und schulinterne Beratung werden Voraussetzungen für eine nachhaltige Schulentwicklung geschaffen. Solche Unter Standpunkte stützungsleistungen müssen von den Schulen abgerufen werden können. Fortbildung zu professioneller Teamentwicklung gehört zum Standardangebot für Schulen. Die Mitarbeit von Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen, sozialpädagogischen Fachkräften und Sozialarbeit in der inklusiven Schule muss selbstverständlich sein. Dafür bedarf es der strukturellen Verankerung dieser Berufsgruppen und einer ausreichend bemessenen Kooperationszeit für die Abstimmungsprozesse sowie für die gemeinsame Planung von Unterricht und individuellen Unterstützungsmaßnahmen für Kinder.
5
eine pädagogisch begründete Gestaltung und Ausstattung von Schulgebäuden
Veränderte pädagogische Konzepte und Aufgaben erfordern eine dementsprechende Gestaltung und Ausstattung von Schulgebäuden und Schulräumen. Sowohl die Ganztagsschule als auch die inklusive Schule verlangen spezifische Schulraumkonzepte. Neben Fachräumen für den Unterricht sind Bewegungs- und Ruheräume, Essensräume, Bibliotheken, Räume für Spiel, Handwerk, musische Aktivitäten und Theater einzuplanen. Für digitale Medien müssen Raum- und Ausstattungskonzepte entwickelt werden, bei denen der Grundschulunterricht nicht durch die Technik dominiert wird. Beratende Aufgaben erfordern Besprechungsräume. Der Bedarf und die Funktion von Schulräumen werden durch deutlich erweiterte Ansprüche neu bestimmt. Dies gilt gleichermaßen für die Lern- und Freizeiträume der Kinder wie für die Arbeitsplätze der Lehrkräfte und des pädagogischen Personals.

Fazit

Die Grundschule als Lern- und Lebensort sowie als Arbeitsplatz ist finanziell, räumlich, in den Sachmitteln und personell anforderungsgerecht auszustatten. Sie braucht als ganztägige inklusive Bildungseinrichtung professionelle Arbeitsbedingungen für die Pädagoginnen und Pädagogen, um dem Anspruch eines anregenden Lernortes für alle Kinder gerecht werden zu können. Es obliegt der bildungspolitischen Verantwortung, die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Tatsache ist, dass viele Kommunen aufgrund ihrer Finanzlage den Ansprüchen nicht gerecht werden können. Hier sind die Landesregierungen mit entsprechenden Programmen gefordert. Zudem bestehen aufgrund sehr unterschiedlicher Haushaltslagen nicht in allen Bundesländern vergleichbare Bildungsbedingungen, was dem Grundsatz der Bildungsgerechtigkeit widerspricht. Das Kooperationsverbot zwischen den Bundesländern und der Bundesregierung ist für den Bildungsbereich mit dem Anspruch von Gleichbehandlung zu lockern oder aufzuheben.

Schulentwicklung ist Aufgabe der Pädagoginnen und Pädagogen. In ihrem Gelingen ist sie abhängig von der Unterstützung der Schulverwaltungen und einer bedarfsgerechten Ressourcenausstattung. Die Qualitätsentwicklung von und in Schulen zu unterstützen ist gleichermaßen eine Anforderung an die Wissenschaft. Statt der eng definierten Erfassung von punktuellen Lernergebnissen braucht es eine prozessorientierte Evaluation von Entwicklungsprozessen, die förderlich auf die untersuchte Praxis zurückwirkt. Die Evaluation einer Schule ist nur erfolgreich und nachhaltig, wenn sie als Evaluation in und mit der Schule gestaltet wird. Wirksame Qualitätsentwicklung gelingt über Austausch und Vernetzung, nicht über Konkurrenz. Schule muss ein Ort der Lernfreude und des Lernerfolgs für alle Beteiligten sein.  

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